Seit Jahren hatte er seiner Ex-Frau zugeredet, sie möge doch mehr Zeit mit dem Kind verbringen, ihn bei seinen Hausaufgaben unterstützen, ihn – neben dem obligaten Baseball und den erzwungenen Kirchengängen am Sonntag – zu sinnvollen Aktivitäten ermutigen. Die Lebensweise der Familie, in der mein Stiefsohn aufgewachsen ist, ist schnell beschrieben: Beide Eltern arbeiten, die älteren Schwestern haben bereits ihre eigenen Interessen, der Junge wächst weit gehend ohne Betreuung, ohne konstruktive Kommunikation, dafür aber mit Fernsehen, Videospielen und Mikrowellen-Mahlzeiten auf. In der Schule langweilt er sich, weiss aber, dass er durch genug Unfug die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Mitschüler und vor allem der Mitschülerinnen auf sich lenken kann.
Man muss keine Fachausbildung haben, um zu erkennen, dass ein Mangel an zwischenmenschlichem Austausch, Unterforderung und Untätigkeit der Grund für sein übermütiges, „
ADHS-verdächtiges“ Verhalten waren. Als Ashlee in jenem Jahr bei uns war und es seinem Vater gelang, ihn vom Fernsehbildschirm wegzumanipulieren, kam das ganze Potential des Jungen zum Vorschein: er, der keine Bücher las, weil er das doof fand und eigentlich schlecht lesen konnte, lernte – unter ständiger Motivierung durch seinen Vater und Grossvater – innerhalb von drei Wochen ein ganzes Taucherhandbuch auswendig und bestand die schriftliche Prüfung, für deren Vorbereitung alle anderen Schüler fünf Wochen Zeit hatten. Nicht schlecht, oder? Und sicher sinnvoller als die Einnahme von Ritalin, das ja doch nur dazu dienen sollte, den Lehrern und Eltern Ruhe zu verschaffen und zu verdecken, dass sie mit diesem Kind nicht umzugehen wussten.
Zum Glück wurde das Medikament nach einigen Monaten wieder abgesetzt – wir haben nie herausgefunden weshalb. Bleibt zu hoffen, dass es nicht zu viel Schaden angerichtet hat.
11.7.06 / Michaela Fisnar
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