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ADHS Studie
Ritalin enthält Methylphenidat, einen Amphetamin-Verwandten, und fällt daher weltweit unter das Betäubungs-
mittelgesetz

Ritalin wird in der Szene als Speed angeboten. Speed kann Schäden im Bereich der Hirnsubstanz und damit bleibende psychische Defekte erzeugen

Ritalin ist im Sport nicht zugelassen - besonders in Internationalen Wettkämpfen (Doping)

Ritalin
in Kombination mit anderen Drogen kann zu Vergiftungen (Intoxikationen) führen



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Ritalin – die verkannte Gefahr

Dr. phil. Judith Barben, Psychotherapeutin
Dr. med. Andreas Bau, Kinderarzt



Gesamter Artikel "Ritalin-die verkannte ..." als PDF zum Download
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Immer mehr Kindern im deutschsprachigen Raum wird täglich Ritalin verabreicht. Elternzeitschriften propagieren die Tablette als Wundermittel gegen Verhaltensstörungen bei Kindern. Der Pharmakonzern Novartis produziert und vertreibt das Mittel weltweit. Chemisch ist es Methylphenidat, ein im Gehirn wirkendes Stimulans (Aufputschmittel). Die verwandten Substanzen Captagon und Amphetamin sind wegen ihrer stimulierenden Wirkung seit Jahren in der Drogenszene verbreitet. In Amerika untersteht Ritalin strengen Kontrollen der Betäubungsmittelbehörden, in Deutschland und der Schweiz darf es nur über ein Betäubungsmittelrezept, in Österreich nur über ein Suchtgiftrezept verschrieben werden. In den USA wird Ritalin Millionen von Kindern wegen sogenannter “Aufmerksamkeitsdefizitstörung” (“Attention Deficit Disorder”) verabreicht, und auch in Europa ist seit neuestem eine “Ritalin-Welle” zu beobachten. Warum gibt man Kindern Ritalin? Was ist eine “Aufmerksamkeitsdefizitstörung”? Warum boomt die Psychodroge weltweit? Und was sind die Langzeitfolgen?


Gibt es das “Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom”?

Zuerst zur sogenannten “Aufmerksamkeitsdefizitstörung” (“Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom”): In den 70er und 80er Jahren erhielten Kinder, die in Kindergarten oder Schule verhaltensauffällig waren, die sich schlecht konzentrieren konnten, herumzappelten und ständig Konflikte mit anderen Kindern hatte, in der Schweiz meistens die Diagnose “POS” (“frühkindliches psychoorganisches Syndrom”), in Deutschland und Österreich “MCD” (“minimale cerebrale Dysfunktion”) und im englischen Sprachraum “MBD” (“minimal brain dysfunction”). Diese Begriffe gehen von einem hirnorganischen Defekt bei verhaltensauffälligen Kindern aus – und zwar bei Kindern, bei denen kein hirnorganischer Befund vorliegt. Etwas später tauchten im Zusammenhang mit verhaltensauffälligen, unkonzentrierten Kindern die Begriffe “Teilleistungsschwäche” oder “Wahrnehmungsstörung” auf. Mit diesen Begriffen versuchte man – auch hier wieder ohne organischen Befund – die kindliche Verhaltensstörung zu erklären. Heute sind die Diagnosen “Hyperaktivität”, “hyperkinetische Verhaltensstörung”, “hyperkinetisches Syndrom” oder “Aufmerksamkeitsdefizitstörung” am gebräuchlichsten,1 (englisch: “Attention Deficit Disorder” ADD oder “Attention Deficit and Hyperaktivity Disorder” ADHD). Auffällig mehr Knaben als Mädchen sind “hyperaktiv”. Lehrer mit längjähriger Schulerfahrung berichten, dass die Schüler in den letzten Jahren allgemein unruhiger und nervöser geworden sind. Die Gründe dafür sind komplex und müssten in weiteren Artikeln behandelt werden. Einig sind sich die Fachleute, dass der zunehmende Medienkonsum (Fernsehen, Video, Computergames, Musik) die Kinder unruhig macht. Der Inhalt dieser Medienprodukte ist oft destruktiv oder wenig sinnvoll.2 Ein weiterer Faktor, der zur Unruhe vieler Kinder beiträgt, sind die “modernen” Unterrichtsformen. Bei “offenem” Unterricht ohne klare Führung werden “hyperaktive” Kinder besonders anfällig für störende Verhaltensweisen, während dieselben Kinder bei “konventionellen” Lehrern, die gut strukturiert unterrichten und klar anleiten, oft ruhiger und konzentrierter arbeiten können. Die Tatsache, dass mehr Knaben als Mädchen “hyperaktiv” sind, bedarf weiterer Klärung. Fachleute vermuten, dass dies mit der “modernen” Abwertung der Männerrolle und deren Folgeerscheinungen zusammenhängt.

Das Erscheinungsbild eines “hyperaktiven” Kindes wurde bereits 1844 vom Nervenarzt Dr. Hoffmann in seinem Buch “Struwwelpeter” als Zappelphilipp beschrieben: “Er gaukelt und schaukelt, er trappelt und zappelt, auf dem Stuhle hin und her”, ... bis er zu Boden fällt und das Tischtuch mit der gesamten Mahlzeit herunterreisst, zum Entsetzen der Eltern. Was aber lässt ein Kind zum Zappelphilipp werden?


Entwicklungspsychologische Befunde

Aus der entwicklungspsychologischen und pädagogischen Forschung weiss man, dass Eltern viel in der Hand haben, um ihren Kindern zu mehr Ausgeglichenheit und innerer Ruhe zu verhelfen. Im nebenstehenden Artikel “Was ist mit Simon los?” wird das Beispiel eines “hyperaktiven” Kindes beschrieben. Es wird gezeigt, wie ein Kind im Laufe seiner Entwicklung in ein negatives Verhaltensmuster hineingeraten kann. Dank der fachkundigen Beratung und Therapie auf der Grundlage der personalen Psychologie3 haben die Eltern dieses Kindes gelernt, das Verhalten ihres Sohnes richtig zu interpretieren. So konnten sie ihm die richtige Hilfestellung geben, und dem Knaben ist es gelungen, aus seinem früheren negativen Beziehungsmuster herauszufinden. Er hat gelernt, seinen Platz in der Familie und Gemeinschaft auf eine schöne, gewinnbringende Art einzunehmen. Dies ist auch in unzähligen anderen Fällen möglich. Die empirische Forschung stützt diesen Befund. So konnte kürzlich eine deutsche Studie nachweisen, dass viele “hyperaktive” Kinder sich beruhigen, wenn die Kommunikation und Interaktion innerhalb der Familie verbessert wird. Die Forscher wandten ausdrücklich keine stimulierenden Drogen an. Sie führten mit den “hyperaktiven” Kindern und ihren Familien acht therapeutische Sitzungen innerhalb von neun Monaten durch. Fünf Jahre später machten sie eine Nachuntersuchung. Sie stellten fest, dass bei achtzig Prozent der Kinder die Entwicklung einen positiven Verlauf genommen hatten. Viele von ihnen hatten sogar einen ausgezeichneten Schulerfolg.4


Verkürzt biologische Sicht des Menschen

Leider findet die Tatsache, dass eine Ausgestaltung der positiven Zuwendung der Eltern “verhaltensauffällige” Kinder ruhiger werden lässt, in der Fachdiskussion nicht die gebührende Beachtung. Trotz der bekannten entwicklungs-psychologischen Zusammenhänge wird immer wieder auf hirnorganische Erklärungsmuster und – damit im Zusammenhang – auf chemische Substanzen wie Ritalin zurückgegriffen. Darin kommt eine verkürzt biologistische, mechanistische Sichtweise der menschlichen Persönlichkeit zum Ausdruck. Tatsache ist, dass trotz jahrzehntelanger intensiver Forschung nach hirnorganischen Ursachen der “hyperkinetischen Verhaltensstörung” (beziehungsweise des sogenannten “frühkindlichen psychoorganischen Syndroms” beziehungsweise der sogenannten “minimalen cerebralen Dysfunktion) kein einziger wissenschaftlicher Beleg für einen organischen Defekt gefunden werden konnte, sei es im Genmaterial, im Hormonhaushalt, in der Hirnflüssigkeit, im Hirnfluss, in der Hirnentwicklung oder in der Hirnstruktur. Auch für die Tatsache, dass mehr Knaben als Mädchen “hyperkinetisch” sind, gibt es keine biologische Erklärung. Es fehlt sogar bis heute ein allgemein anerkanntes Diagnoseverfahren für die “Aufmerksamkeitsdefizitstörung”.

Vor einigen Jahren versuchte man, diese Kinder (man nannte sie damals “Phosphatis”) durch eine phosphatfreie Ernährung zu “bessern” und hatte dabei gewisse Erfolge. Diese Erfolge – so die fast einhellige Meinung der Kinderärzte und Kinderpsychiater – war auf die vermehrte Zuwendung der Mütter zurückzuführen. Denn diese mussten sorgfältig auf das Einhalten der Diät achten. Dadurch beschäftigten sich die Mütter in positiver Weise mit dem Kind, während sie es vorher häufig für sein unruhiges Verhalten kritisiert hatten. Die Diät selbst hielt keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand. Heute schallt der Ruf nach Ritalin. Einige Ärzte sind aufgrund ihrer grosszügigen Verschreibungspraxis als “Ritalinpäpste” bekannt. Die Verschreibungshäufigkeit in ihren Praxen hat ungeahnte Höhen erreicht. So verschreiben zwei Kinderärzte in einer Doppelpraxis in Süddeutschland einem Viertel (!) ihrer jungen Patienten Ritalin. Dies obwohl bisher die Empfehlung galt, das Mittel nur mit grösster Zurückhaltung anzuwenden und die Verschreibung spätestens in der Pubertät zu beenden.5 Auch Eltern­zeitschriften propagieren Ritalin in unverantwortlicher Weise als Wundermittel gegen die “Aufmerksamkeits-defizitstörung”: “Ehemaliger Störenfried ganz brav [seit er Ritalin nimmt]”6, schreibt eine Elternzeitschrift zum Beispiel. Es wäre hilfreicher, sie würde den Eltern entwicklungspsychologische Kenntnisse vermitteln und ihnen so helfen, das emotionale Wechselspiel mit ihren Kindern feiner abzustimmen und eine positive Beziehung mit ihnen aufzubauen und zu gestalten.


Wirkung und Nebenwirkungen von Ritalin wissenschaftlich nicht geklärt

Das Ritalin (Methylphenidat) ist – wie Amphetamin – ein Aufputschmittel und gehört in die Gruppe der Psychostimulanzien.7 Seine genaue biochemische Wirkungsweise im Gehirn ist bis heute nicht geklärt. Auf der Packungsbeilage fehlen die sonst üblichen Hinweise auf den Wirkmechanismus. Ritalin wird einerseits gegen Narkolepsie (krankhafte Schlafanfälle) und andererseits zur Beruhigung “hyperkinetischer” Kinder eingesetzt. Angeblich soll Methylphenidat den Hirnstoffwechsel im Frontalhirn anregen und gewisse Synapsen (Nerven-Schaltstellen) bahnen. Warum aber Ritalin bei Narkolepsie aufweckt und bei einem Teil der “hyperkinetischen” Kinder beruhigt, ist nicht wirklich klar. Die gängige Erklärung lautet, Methylphenidat würde die Konzentrationsfähigkeit verbessern, und dadurch seien die hyperkinetischen Kinder weniger ablenkbar und deshalb ruhiger. Es kommt allerdings auch vor, dass verhaltensauffällige Kinder unter Ritalin so erregt werden, dass man das Mittel sofort absetzen muss. Bei anderen wirkt es überhaupt nicht.

Auf der Packungsbeilage wird auch auf das Risiko psychotischer Reaktionen hingewiesen. Kinderärzte berichten immer wieder von Fällen, in denen Kinder unter Ritalin psychotisch wurden, Sinnestäuschungen hatten und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden mussten. Laut einer kanadischen Studie entwickelten sechs Prozent von 98 Kindern, die durchschnittlich eindreiviertel Jahre Ritalin erhielten, Psychosen.8

Als weitere Nebenwirkungen von Ritalin können – so die Packungsbeilage – Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Traurigkeit, Ängstlichkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Hautausschläge, Haarausfall, Muskelzuckungen (Tics), Verhaltensstereotypien und unwillkürliche Gesichtsbewegungen auftreten oder bestehende Tics verstärkt werden. Ein weiteres Risiko von Ritalin ist – wie der Hersteller Novartis schreibt – sein “stark ausgeprägtes psychisches Abhängigkeitspotential bei nicht bestimmungsgemässem Gebrauch”; es müsse deshalb immer “die Möglichkeit des Arzneimittelmissbrauchs oder der Drogenabhängigkeit im Umfeld des Patienten beachtet werden”.9 Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie rät von einer Ritalinverschreibung ab, “falls Medikamenten- oder Drogenmissbrauch im umittelbaren Umfeld des Kindes oder Jugendlichen oder durch den Jugendlichen selbst vorkommen oder der Verdacht besteht, dass der Jugendliche die Droge verkauft”.10 In den USA wird Ritalin auf dem Schwarzmarkt gehandelt und von Drogensüchtigen intravenös gespritzt. Ob das Mittel bei längerer Anwendung eine bleibende Schädigung des sich entwickelnden kindlichen Hirns bewirkt, ist offen. Aussagekräftige Langzeitstudien dazu fehlen noch. Negative Folgen können noch nach langer Zeit auftreten. Auch ist – so Novartis – “die klinische Bedeutung einer Verminderung des Längenwachstums und der verzögerten Gewichtszunahme bei Kindern nicht endgültig geklärt.”11

In den Fällen, in denen Kinder unter der Wirkung von Ritalin äusserlich ruhiger werden, fühlen sich die Eltern entlastet, in die Familien und Schulklassen scheint Frieden einzukehren. Doch zu welchen Preis!


Ritalin stört die Persönlichkeitsentwicklung langfristig

Während die Frage nach den organischen Langzeitschäden des Ritalins noch offen ist, werden die psychologischen Langzeitschäden mehr und mehr bekannt. Erfahrene Kinderärzte, Kinderpsychologen und Lehrer berichten aufgrund langjähriger empirischer Beobachtung, dass die erwünschte Wirkung des Mittels, die scheinbare “Beruhigung” – falls sie überhaupt eintritt – keine wirkliche Beruhigung ist, sondern nur ein künstliches Unterdrücken der spontanen und natürlichen Gefühle und Lebensäusserungen des Kindes, ein Niederhalten der Persönlichkeit, eine “chemisch bewirkte Fügsamkeit” (“Der Spiegel”).12 Gerade aber die sogenannte Verhaltensstörung ist oft ein Appell des Kindes an die Beziehungspersonen, sich mit ihm zu beschäftigen. Damit sich das Kind gesund entwickeln kann, dürfen diese “störenden” Verhaltensweisen keinesfalls chemisch niedergehalten werden, sondern die Beziehungspersonen müssen das Kind verstehen lernen, seine “Verhaltensauffälligkeit” richtig interpretieren und seine spontane Aktivität in gesunde Bahnen lenken. Das Kind will beachtet und geliebt werden, und es will einen positiven Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Ritalin jedoch unterdrückt und betäubt das Gefühlsleben, wie das bei allen Drogen der Fall ist. Unter der Wirkung des Mittels kann das Kind weder lernen, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen noch mit ihnen umzugehen. Gerade diese Fähigkeit aber ist im Sinne einer Ausgestaltung und Differenzierung der emotionalen Intelligenz von allergrösster Bedeutung.13 Ohne die Entwicklung dieser Fähigkeit – eigene Gefühle wahrnehmen und mit ihnen umgehen – ist eine normale Reifung und Entwicklung der Persönlichkeit nicht möglich. Das Kind bleibt emotional stehen.

Ausserdem bewirkt die Ritalineinnahme – wie auch schon die Diagnosestellung – eine tiefe Entmutigung und Resignation beim Kind. So erklärte ein achtjähriger “verhaltensauffälliger” Schüler seinem Lehrer: “Wissen Sie, ich muss diese Tablette nehmen, weil bei mir etwas im Kopf nicht stimmt.” Dieser Bub hatte sich damit abgefunden, dass er einen “Defekt” im Hirn habe und deshalb ein “Schwieriger” sei, sich in der Schule nicht konzentrieren könne, ständig Streit habe und seinen häufigen Wutausbrüchen (trotz Ritalin!) ohnmächtig ausgeliefert sei. Mit diesem negativen Bild über sich selbst wird der Knabe ins Leben hinaus gehen.

Ein Kind, das jahrelang Ritalin genommen hat, muss – wenn das Mittel dann endlich abgesetzt wird – genau an dem Punkt wieder anfangen und sich mit genau denjenigen Problemen konfrontieren, mit denen es damals nicht fertig wurde: dieselbe Unsicherheit unter den Menschen, dieselbe nagende Eifersucht, dieselbe Entmutigung, dieselbe Ungeduld beim Lernen wie damals. Nur ist das Kind kein Kind mehr, sondern es ist inzwischen ein Jugendlicher geworden, der emotional auf der Stufe eines Kindes stehengeblieben ist. Und dieser junge Mensch muss nun – wie das vom Drogenproblem her bekannt ist – zusätzlich mit dem Problem fertig werden, dass er inzwischen von den Gleichaltrigen und Jüngeren überholt worden ist. Die Hilfe ist dadurch nicht einfacher geworden.

Eine Sonderschullehrerin schildert einen 16-jährigen Knaben, der neu in ihre Klasse gekommen ist und der schon seit Jahren Ritalin einnimmt. Als der Knabe kam, fiel ihr sofort auf, er emotional ganz kindlich geblieben war. Geringfügige Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen nahm er übermässig schwer. In Konfliktsituationen konnte er sich kaum wehren, wurde hilflos, fing an zu weinen und suchte Hilfe bei der Lehrerin oder Mutter. Die Lehrerin versuchte dem Knaben zu vermitteln, wie er solche Situationen besser meistern könne, doch ohne Erfolg. Er verblieb in seiner kindlichen Haltung. Erst als die Eltern auf Anraten der Sonderpädagogin das Ritalin absetzten, fing der Jugendliche an, kleine Lernschritte im Sozialverhalten zu machen. Die verpassten Jahre der Entwicklung konnte die Lehrerin mit ihm jedoch nicht nachholen.


Schadenersatzklagen gegen Novartis

Immer mehr Fachleute14 warnen vor der alarmierend leichtfertigen Verschreibungspraxis von Ritalin.15 In den USA laufen erste Klagen gegen den Hersteller Novartis. Renommierte Anwaltskanzleien in Kalifornien und New Jersey werfen dem Pharmakonzern vor, er hätte Psychiatrieprofessoren und Forschungsinstitute mit Geldern geködert und mit der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung konspiriert, damit sie die “Krankheit” Aufmerksamkeitsdefizitstörung (mit und ohne Hyperaktivität: ADD und ADHD) “erfanden”.16 Dann hätte der Konzern mit irreführender Werbung den Absatz des Mittels angekurbelt und dessen gravierende Nebenwirkungen heruntergespielt. Ritalin stelle aber ein grosses Risiko dar. Die Kläger streben den Status von Sammelklagen an und zielen auf Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe ab. Es sei durchaus denkbar, dass sie Erfolg haben. Laut “Wall Street Journal” ist mit weiteren Klagen in anderen Bundesstaaten zu rechnen.

Modediagnose “ADD” und Ritalinpropaganda

In den USA ist die “Aufmerksamkeitsdefizitstörung” (“Attention Deficit Disorder: ADD”) inzwischen zur am meisten diagnostizierten “Kinderkrankheit” geworden, Ritalin zur “Pille für das Kind”.17 Sechs Millionen amerikanische Kinder bekommen Ritalin.18 In gewissen amerikanischen Schulklassen nehmen bis zu zwanzig Prozent der Schüler Ritalin. Die “School-Nurses” haben alle Hände voll zu tun, um den Kindern ihre täglichen Dosen zu verteilen. Mit der massiven Verschreibung boomen auch die Bücher und Artikel, die Ritalin als einzig wirksame Therapie für hyperaktive und unkonzentrierte Kinder propagieren. Das Mittel wird zum Teil mit anderen Psychopharmaka kombiniert (zum Beispiel mit dem Antidepressivum Prozac), und es sind auch schon Konkurrenzprodukte auf dem Markt (zum Beispiel das Stimulans “Adderall”). Längst halten die Ärzte die sogar von Norvartis selbst empfohlenen Altersgrenzen von sechs Jahren bis zur Pubertät19 nicht mehr ein. Aus Deutschland sind Fälle bekannt, wo Ärzte zweijährigen Kindern Ritalin verschrieben haben! In den USA wird das Mittel zunehmend auch an Erwachsene abgegeben, obwohl es Jugendliche und Erwachsene süchtig machen kann. Auch in Deutschland scheint diese large Verschreibungspraxis Einzug zu halten. Ein Internatsleiter aus Süddeutschland berichtet, dass die junge Mutter eines Schülers seit einem Jahr Ritalin nimmt, fünf Tabletten täglich – verschrieben vom Hausarzt; der “hyperaktive” Schüler selbst steht seit drei Jahren unter Ritalin, sechs Tabletten täglich.

Und all das, obwohl das entwicklungspsychologische, pädagogische und therapeutische Wissen vorhanden ist, um diesen Kindern und Eltern wirklich zu helfen!


Fragwürdige “Selbsthilfegruppe”

Was ist der Grund für diesen Boom? Eine “Selbsthilfegruppe” “Aufmerksamkeitsgestörter” und “Hyperaktiver” namens CHADD (Children and Adults with ADHD) mit über 30'000 Mitgliedern und hunderten von Sektionen fällt in den USA als gut organisiert, publizistisch geschickt und finanzkräftig auf. Die “Selbsthilfegruppe” propagiert Ritalin als angeblich einzig wirksame “Therapie” gegen “ADHD” (“Attention Deficit and Hyperaktivity Disorder”). “CHADD” fordert von der Invalidenversicherung finanzierten Gratisnachhilfeunterricht für “ADHD-Betroffene” sowie Prüfungserleichterungen. Zudem setzte sich die “Selbhilfegruppe” dafür ein, dass Ritalin aus den strengen Kontrollbestimmungen für Betäubungsmittel herausgenommen und in eine leichter zugängliche Kategorie umklassifiziert werden sollte. Während des Anhörungsverfahrens wurde jedoch bekannt, dass Novartis der “Selbsthilfegruppe” 900'000 Dollar in bar bezahlt hatte!20 Das Bekanntwerden dieser skandalösen Tatsache setzte dem gefährlichen Versuch, Ritalin noch leichter zugänglich zu machen, zum Glück ein Ende.

Weltweit mehren sich die Stimmen, die vor der psychopharmakologischen Betäubung unzähliger Kinder durch Ritalin und verwandte Substanzen warnen. So schreibt der amerikanische Kinderarzt und Autor eines Buches über Ritalin, Lawrence H. Diller: “Europa sollte ganz genau hinsehen, was bei uns geschieht, und die USA als warnendes Beispiel nehmen.” – “Es fällt uns so viel leichter, bei einem Kind eine Störung festzustellen und ihm Tabletten zu geben, als auf seine Bedürfnisse einzugehen.” 21



Anmerkungen
1.
Steinhausen H.-Ch. Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie, 2. Auflage. München 1993, S. 101 ff. und 107 ff.
2.
Vgl. zum Beispiel Grossmann, D. & Degaetano G. Stop Teaching Our Kids to Kill. A Call to Action against TV, Movie & Video Game Violence. New York 1999.
3.
Die personale Psychologie müsste an anderer Stelle ausführlich dargestellt werden. Sie grenzt sich von Freud und den auf ihm aufbauenden Folgeschulen ab sowie auch von den zahlreichen biologistischen, mechanistischen oder materialistischen Theorien der menschlichen Persönlichkeit, die vor allem in den USA im Mainstram liegen. Diese Theorien verkennen die schöpferischen Fähigkeiten des Menschen, die wir schon beim Kleinkind im interpersonalen Wechselspiel mit seiner Mutter finden. Sie verkennen auch die Bedeutung von tragenden menschlichen Beziehungen für das ganze Leben bis ins hohe Alter. Die personale Psychologie ist ein schmaler Fluss neben dem Mainstream und liefert wertvollste Befunde zur Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens in Familie und Erziehung, Schule und Pädagogik.
4.
Bonney H. Treatment of children with hyperkinetic disorders (ADHD) based on commnications- and systems analysis. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiatr. 2000 Apr; 49 (4): 285-299.
5.
Vgl. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Diagnose und Behandlung von hyperkinetischen Störungen. Januar 1999.
6.
Novak M. Verhaltensstörung. Schweizer Familie 40/1999, S. 70.
7.
Fritze J. & Trott G.-E. Substanzengruppen – Stimulantien. In: Nissen G., Fritze J. & Trott G.-E. Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter. Ulm, Stuttgart, Jena, Lübeck 1998, S. 115.
8.
Cherland E. & Fitzpatrick R. Psychotic side effects of psychostimulants: a 5-year review. Can. J. Psychiatry 1999 Oct; 44(8):811-3.
9.
Aktuelle Fachinformation vom 2. Oktober 2000 von Novartis zu Ritalin, Stand November 1997.
10.
Vgl. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie. Diagnose und Behandlung von hyperkinetischen Störungen. Januar 1999.
11.
Aktuelle Fachinformation vom 2. Oktober 2000 von Novartis zu Ritalin, Stand November 1997.
12.
Nimtz-Köster R. Ständig unter Strom. Der Spiegel 52/1998, S. 180.
13.
Golemann D. Emotionale Intelligenz. München 1997.
Gottman J. Kinder brauchen emotionale Intelligenz. Ein Praxisbuch für Eltern. München 1997.
14.
Vgl. zum Beispiel: Diller L. H. Running on Ritalin: A Physician Reflects on Children, Society, and Performance in a Pill. New York 1999.
15.
Laut Spiegel wird – trotz möglicher Langzeitschäden – “in amerikanischen Arztpraxen und Schulen so reichlich und unbekümmert Methylphenidat ausgeteilt”, dass man schon fast vom ”Ritalin-Zeitalter” reden müsse. Vgl. Nimtz-Köster R. Ständig unter Strom. Der Spiegel 52/1998, S. 180.
16.
Schmitt R. B. Maker of Ritalin, Psychiatric Group Sued. The Wall Street Journal September 14, 2000.
Flubacher R. Eine Beruhigungspille, die Novartis nervös macht. Tages-Anzeiger 15. September 2000.
Caspar L. (Washington). Die pharmazeutische Zwangsjacke. USA: Eine Nation gedopter Kinder – wie Amerika die “nervöse Unruhe” bändigt. Aargauer Zeitung 16. September 2000.
17.
Suter L. Die Pille für das Kind. Die Psychodroge Ritalin von Novartis drängt auf den globalen Markt. Die Wochenzeitung Nr. 44, 4. November 1999.
18.
Diodà C. Zappler werden ruhig gestellt. Facts Nr. 43. 28.Okt 99, S. 134-136.
19.
“Für die Behandlung von Kindern unter 6 Jahren liegen ausreichende klinische Daten nicht vor.” – “Die Behandlung sollte nicht auf unbestimmte Zeit ausgedehnt werden. Sie kann im allgemeinen während oder nach der Pubertät beendet werden.” (vgl. aktuelle Fachinformation vom 2. Oktober 2000 von Novartis zu Ritalin, Stand November 1997. Sowie: Ritalin – Anwendung bei hyperkinetischen Verhaltensstörungen. Novartis Pharma Info Service 1/1999.
20.
Suter L. Die Pille für das Kind. Die Psychodroge Ritalin von Novartis drängt auf den globalen Markt. Die Wochenzeitung Nr. 44, 4. November 1999.
21.
Diller L. H. Running on Ritalin: A Physician Reflects on Children, Society, and Performance in a Pill. New York 1999.


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